Nach mehr als 30 Stunden Anreise erreichen wir Christchurch, wo uns Per Agerlund Jacobsen empfängt. Von dort aus geht es auf der Straße der Südalpen weiter – genau genommen, entlang ihrer Westflanke – der am dünnsten besiedelten Region des ganzen Landes. Die Berggipfel sind bereits von einer dünnen Schicht Puderschnee bedeckt. Es ist Mitte Mai, also mitten im Herbst der südlichen Hemisphäre. Um in den Südalpen zu jagen, bedarf es eines Helikopters. Der Urwald, der sich von der Küste bis in die Berge hinein erstreckt, ist undurchdringlich.

Während der Helikopter an Höhe gewinnt, erblicken wir zu unserer Rechten den Tasmansee und zu unserer Linken die verschneiten Berggipfel des Mount-Cook-Nationalparks. Direkt unter uns wuchert ein Dschungel, aus dem im nächsten Moment ein Dinosaurier auftauchen könnte! Nach 20 Minuten Flug entladen wir unser Gepäck und werden den Piloten erst in drei Tagen, um 17 Uhr, wiedersehen. Bis dahin sind wir im Notfall per Satellit zu orten. Wir brauchen eine knappe Stunde, um unser Camp aufzubauen und schon kann die Jagd beginnen. Das Spektiv ist auf einem Dreibein-Stativ befestigt, denn uns umgeben 5.000 Hektar Land, auf dem wir uns mithilfe einer Karte und einem Kompass orientieren werden, um Gamswild anzusprechen.

Auf zum ersten Pirschgang. Nach 20 Minuten sind wir bereits schlammbedeckt, verschwitzt und bluten an den Händen, nachdem wir ohne Unterlass versuchten, irgendwo einen Halt in dieser feindlichen Vegetation zu finden. Um es kurz zu machen: Wolken verhüllen das Tal und erschweren ab einer Höhe von 50 Metern die Sicht. Wir beschließen abzuwarten, woraufhin sich nach wenigen Minuten tatsächlich die Wolken lichten und wir ein Jungtier auf einem Felsvorsprung sichten. Während wir uns positionieren, verschwindet es hinter einer Felswand und ein starker Gamsbock nimmt seinen Platz ein. Der Entfernungsmesser zeigt 183 Meter, die Jagdwaffe ruht auf dem Schießstock und schon ist unser erstes neuseeländisches Stück Gamswild erlegt.

Eine Stunde später finden wir den Gamsbock in einem Lawinengang. Er ist wunderschön, alt, hinter den Krucken heben sich zwei riesige Duftdrüsen ab: Zeichen einer ausgeprägten Brunft. Es ist Zeit, dass wir wieder runter ins Zelt gehen und uns ausruhen. Im Morgengrauen fiel das Quecksilber auf minus sieben Grad Celsius und es ist der Gaskocher, der uns ermöglicht, die Innentemperatur des Zeltes ein wenig zu erhöhen. Selbst Andy, der Jack Russell Terrier, der Per nie von der Seite weicht, will nicht aus dem Schlafsack kommen. Draußen ist alles von Frost überzogen, auch der Karabiner und das Fernglas, die wir aus Platzgründen nicht mit ins Zelt nehmen konnten.

Gegen Mittag erreichen wir den Bergkamm und genießen einen 360-Grad-Rundum-Blick, der uns die Strapazen des Aufstiegs vergessen lässt. In etwa zwei Kilometern Entfernung befindet sich eine Gruppe von Tieren. Wir folgen der Gratlinie, um sie zu erreichen.

Während wir dieses traumhaft schöne Biotop durchstreifen, erzählt uns Per die Geschichte der ersten Gämsen, die 1907 aus Österreich eingeführt wurden, bis ein charakteristisches Pfeifen der Erzählung ein Ende setzt.

Wir wurden von einer Gamsgeiß entdeckt, die mit dem Pfeifen ihre Artgenossen warnt, welche sogleich in den Talgrund laufen und sich hinter einer Klippe verbergen. Wir beobachten sie, als eine weitere Gamsgeiß auftaucht, die dann ebenfalls hinter einem großen Felsen verschwindet. Sie war alleine. Dann taucht sie erneut auf und verharrt. Uns trennen 164 Meter. Sie wird unsere zweite neuseeländische Gams sein. Am dritten Tag zerwirken wir unsere ersten beiden Gämsen, deren Wildbret dann im sonnengeschützten Bachbett lagert, in dem auch in der Wärme des Tages noch einige Eiskristalle glitzern. Wie immer werden wir von Keas begleitet. Diese Vögel sind in Neuseeland endemisch und bevölkern Berggebiete, weshalb sie auch als einzige bekannte Bergpapageienart gelten.

Am Morgen des letzten Tages, als das Camp geräumt und alles bereit zur Abreise ist, entdecken wir einen großen Bock, der in etwa zwei Kilometer Entfernung auf einem Felsvorsprung liegt. Wir brauchen drei Stunden zu Fuß, überqueren Bäche, Klippen und bewältigen mehrere Hektar Monkie Scrub, stacheliges Buschwerk. Der Bock ist nun 250 Meter weit entfernt, wir sind unten im Tal, als plötzlich ein Ast bricht, an dem Per Halt suchte. Der Gams flüchtet, stürzt jedoch mehrfach, während er sich entfernt. Nach langen Minuten bietet sich ein Schießfenster auf 320 Metern. Beim Schuss verschwindet der Gams auf der anderen Seite des Grates. Der Ort ist sehr steil; wir beschließen, uns auf der Suche anzuseilen. Schließlich entscheidet Per, das Ganze alleine mit Andy fortzusetzen und lässt uns mitsamt GPS-Sender für Notfälle zurück. Nach einer Stunde machen wir ihn mit dem Fernglas aus. Er trägt einen riesigen Gamsbock. Das 16 Jahre alte Tier litt auf beiden Augen an einer Keratokonjunktivitis, einer trockenen Bindehaut. Um 17 Uhr holt uns der Helikopter ab.

Gerade noch rechtzeitig, bevor ein gewaltiger Sturm losbricht. Für uns ist es an der Zeit, nach Christchurch zurückzukehren und dort neue Kräfte zu tanken, bevor wir die Ostseite der Neuseeländischen Alpen besuchen, wo wir ein Rendezvous mit mythischem Wild haben werden: dem Himalaya-Tahr…

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