Nach fünf Tagen Gamsjagd steht nun die Eroberung des neuseeländischen Grals an: die des Tahrs. Doch das Tier mit der Löwenmähne wird es uns nicht leichtmachen und findet dabei auch noch Unterstützung von den Elementen, die sich gegen uns verschworen zu haben scheinen. Zurück in Christchurch empfangen uns schlechte Nachrichten. Ein Tiefdruckgebiet nähert sich den neuseeländischen Alpen und könnte sintflutartige Regenfälle mit sich bringen. Die Berge — zu denen der 3.754 Meter hohe Mount Cook, auch Aorangi (Wolkenbohrer) genannt, gehört — bilden mit ihren zahlreichen, über 3.000 Meter hohen Gipfeln eine Wetterbarriere. Unseren Jagdführer Per interessiert das Ganze wenig; schließlich bleiben ja noch 48 Stunden bis zum Eintreffen der Wetterfront. Zeit genug, um sich dem Tahr zu nähern.
Auf geht es in die Berge, in denen der Film „Herr der Ringe“ gedreht wurde. Wir wandern das Tal des Godley-Gletschers hinauf und erreichen nach 15 Kilometern Fußmarsch die 1934 errichtete Godley-Hütte. Hier trainierte einst Sir Edmund Hillary, der als erster Mensch den Mount Everest bestieg, und dass gerade hier der aus dem Himalaya stammende Tahr leben soll, erscheint uns ein Zeichen zu sein. Die neuseeländischen Alpen bieten ihm einen idealen Lebensraum, der bis zu 100 Kilogramm schwere, männliche Tiere hervorbringt. Gepeitscht von Regengüssen und Windböen erreichen wir die Hütte. Das Tief scheint nun doch schneller zu nahen als vorhergesagt. Per Funk bestätigt man uns, dass sich das Wetter in der kommenden Nacht stark verschlechtern wird. Uns bleibt keine Wahl. Wir müssen uns zurückziehen.
Ein Jahr später werden wir am Flughafen von einem breit grinsenden Zollbeamten empfangen, der sich noch genau an unseren ersten Besuch erinnert. Dieses Mal haben wir neun Tage für die Jagd eingeplant, um — im Fall schlechter Wetterprognosen — mehr Spielraum zu haben. Per findet, das sei eine gute Idee. Es ist Mai, Herbstanfang, und die Südalpen hüllen sich schon seit Wochen in Nebel. Doch hier im tiefen Süden kann sich das schnell ändern.
Es ist an der Zeit, sich zu den Gletschern und rauschenden Wildbächen aufzumachen. Dieses Mal erwartet uns ein Zeltbiwak, weil die Godley-Hütte nicht zugänglich ist. Die Zuwegung wird von tonnenschwerem Geröll blockiert, das nach einem heftigen Bergsturz nun einen großen Teil des Tals bedeckt. Dann brechen endlich die Wolken auf, woraufhin sich Regenschauer mit Auflockerungen abwechseln. Wir erleben ein Landschafts-Szenario, in dem wir uns winzig klein fühlen. Eigentlich sind Tahrs hier verbreitet, doch diese teuflischen Tiere geben uns einfach keine einzige Möglichkeit, sie anzusprechen.
Nach drei erfolglosen Tagen schlägt Per vor, in ein circa drei Kilometer langes Tal zurückzukehren, durch das ein Wildbach fließt, dem wir schließlich in Richtung Mount D´Archiac folgen. Dieser verdankt seinen Namen seinem Entdecker, dem gebürtigen Deutschen Julius von Haast, der den Berg einst mit einer kolossalen Pyramide verglich. Er wählte diesen Namen für den das gesamte Godleytal dominierenden Gipfel, um damit seinem Förderer und zugleich dem Direktor des Geologischen Museums in Paris, Vicomte D´Archiac, zu danken.
Während wir entlang des Bachlaufs weiter aufsteigen, beobachten wir immer wieder die schwindelerregenden Hänge, die sich zu beiden Seiten des Tals erheben. Mehrfach sehen wir wie sich etwas auf den schmalen Bergpfaden bewegt, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Nichts zu machen. Keine Chance, das Zielfernrohr auszurichten.
Wenn man an einem so fabelhaften Ort wie den Neuseeländischen Alpen jagt, vergeht die Zeit wie im Flug. Am frühen Nachmittag treten wir den Abstieg ins Lager an, weil sich das Wetter wieder verschlechtert und wir im Zelt Schutz suchen müssen. Per geht voran, dicht gefolgt von seinem Hund Andy. Wir folgen und konzentrieren uns darauf, nicht auf dem Geröll auszurutschen. Plötzlich springt Per hinter einen großen Stein und hält Andy ganz dicht bei sich. Intuitiv gehen auch wir in Deckung und bereiten das Gewehr vor. „Tahr auf 360 Metern, ein männliches Stück, du kannst es ansprechen!“ Mehr braucht Per nicht zu sagen. Schon steht das Zweibein auf dem Felsen, der Entfernungsmesser gibt uns die exakte Schusskorrektur vor, dann folgt ein langer Moment der Stille.
Der Tahr hat uns bemerkt und verharrt aber zunächst regungslos auf einer Geröllhalde. Jetzt zieht er ein paar Meter weiter. Schnell messen wir die neue Entfernung neu. Wir nehmen die Zielkorrektur am Verstellturm des Zielfernrohrs vor. Ich bin im Ziel, atme langsam aus. Der Schuss fällt, der Tahr zuckt wie vom Blitz getroffen und verschwindet hinter einem großen Felsen.
Wir schicken den Hund los. Und so macht Andy sich auf den Weg, durchschwimmt den Bachlauf, klettert die Geröllhalde hinauf, erreicht den Tahr nach zehn langen Minuten und verbellt ihn. Wir folgen seiner Stimme, brauchen aber fast eine halbe Stunde, um die Geröllhalde zu erklimmen. Die EVO green im Kaliber 270 Win. Hat ihre Arbeit gemacht. Unsere Beine zittern, der Atem ist kurz, aber die Freude ist groß, endlich einen der mythischsten Vertreter des Bergwilds erlegt zu haben.