Zwei lange Jahre liegen hinter meinem Mann Oliver und mir, Jahre des Abwartens, der Ungeduld und der Vorfreude endlich wieder in Schottland jagen zu können. Hoch in den Norden Schottlands, noch eineinhalb Stunden nördlich von Inverness entfernt, hat es uns verschlagen. Für eine Woche eine weite Anreise aus Deutschland, doch die Abgeschiedenheit, der Komfort der Lodge und die Möglichkeiten, die das Estate jagdlich bot, waren jeden Kilometer wert. Das Revier erstreckt sich an der östlichen Seite eines tief ins Landesinnere gezogenen Lochs und verläuft parallel zu einer schmalen Straße, die entlang des Sees führt. Nur ein paar Häuser stehen hier links und rechts an der Straße, dahinter befindet sich ein halbhoher lichter Waldsaum, der sich die Hügel hinauf immer mehr öffnet und in eine flache Heidelandschaft übergeht.

Nachdem gestern Oliver bereits Jagdglück hatte, bin ich es heute, die die Waffe führt. Fergus, unser Stalker, geleitet uns auf die nördliche Seite des Reviers. Auf der Fahrt dorthin bekommen wir etliches Rotwild zu Gesicht, so parken wir das Auto auf halber Strecke den Hügel hoch am Wegesrand. Nicht weit vom Wagen entdecken wir in einer Senke ein Rotwildrudel, bei dem auch ein Hirsch steht. Doch diese Aufgabe scheint Fergus zu einfach zu sein. Wir steigen weiter den Hügel hinauf und sind bereits eine ganze Weile gelaufen, als Fergus uns auf einen Hirsch unterhalb eines Hügelkamms aufmerksam macht. Wir überlegen, wie wir die Pirsch am besten angehen können, denn das Gelände vor uns ist flach und bietet nur wenig Deckung. Ein paar Meter hinter uns verläuft eine kleine Senke parallel zum Hang. Hier können wir gebückt etwas näher an den Hirsch herankommen, müssen dann aber doch noch knapp 100 Meter durchs Heidekraut robben.

Auf einer kleinen Bodenwelle richten wir uns ein. Ich messe mit meinem Entfernungsmesser die Distanz zum Wild. 240 Meter sind es, und ich müsste dazu auch noch bergauf schießen. Nicht gerade eine von mir präferierte Schießposition, doch ich werde mich dennoch einrichten und in Anschlag gehen. Sollte es nicht passen, kann ich immer noch abbrechen. Wie bereits am Tag zuvor liegt auch dieser Hirsch und rührt sich nicht. Er äugt zwar immer wieder in unsere Richtung, doch als Gefahr scheint er uns nicht wahrzunehmen. Ich mache mich fertig, gehe in Anschlag und stelle fest, dass die Position bequemer und komfortabler ist als ursprünglich angenommen. Das kam mir jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch so vor.

Ich berate mich leise mit Fergus; wir überlegen uns, wie sich der Hirsch wohl verhalten wird, wenn er aufsteht. Denn momentan liegt er zwar noch etwas unterhalb des Bergkamms, doch sollte er sich erheben, steht er erst einmal ohne jeglichen Kugelfang auf der Kuppe des Hügels. Allmählich beginne ich zu frieren. Immerhin liegen wir jetzt bereits eine knappe Stunde reglos in dem kalten, nassen Heidekraut. Meine Schulterblätter schmerzen mittlerweile heftig, da ich den Kopf ständig in den Nacken halten muss, um durchs Zielfernrohr blicken zu können. Ich bin mir nicht mehr so sicher, dass die Position die richtige ist, und dankbar dafür, dass Fergus meine Gedanken zu erraten scheint und vorschlägt, den Platz zu wechseln und den Hirsch einfach dort liegen zu lassen, wo er sich jetzt befindet.

So treten wir gemeinsam den geordneten Rückzug an und kriechen wieder zu der kleinen Senke zurück, in der wir uns endlich erheben und die steifen Glieder strecken können. Ein kleiner Fußmarsch bringt uns wieder auf Trab und wärmt uns auf. Auch Fergus hatte gefroren.

Nach einer kleinen Mittagspause umrunden wir eine große Hügelkette knapp unterhalb des Kamms.

Dass hier viel Wild zu finden ist, ist mir klar. Allerdings gibt es auch viele Lichter, die den Jäger leicht entdecken können. Immer wieder pirscht sich Fergus vor, um über die nächste Bodenwelle spähen zu können, und bedeutet uns dann, ihm zu folgen. Bis zum Nachmittag haben wir bereits fast den kompletten Revierteil umrundet, als Oliver auf 400 Meter ein großes Rudel entdeckt.

Vor uns zieht es jetzt den Hügel hinunter. Die Heide und das Gras sind hier so niedrig, dass es unmöglich erscheint, näher heranzukommen. Wir lassen Oliver etwas weiter hinten zurück und legen uns flach auf den Boden. Da wir bergab robben, ist die Fortbewegung nicht so anstrengend, allerdings dürfen wir uns keinen Fehler erlauben, da das Wild auf uns einen anderen Blickwinkel hat. Wir kommen nur langsam voran, unser Ziel ist eine kleine Mulde im Boden und ein kleiner Hügel, auf dem ich die Waffe gut auflegen könnte. Schließlich haben wir es geschafft, nun kann ich mich einrichten. In der flachen Mulde liege ich ein wenig bequemer als beim vorigen Mal. Und da ich nicht ständig nach oben schauen muss, habe ich es eigentlich ganz komfortabel. Doch was macht das Wild vor uns? Da sehe ich aus dem Gras vor uns die Stangen zweier Hirsche ragen. Die beiden starken Hirsche liegen keine 180 Meter entfernt im Gras und lassen sich durch das Rudel weiter unten nicht aus der Ruhe bringen.

Der eine Hirsch sei passend, flüstert mir Fergus zu, doch erst ein Blick aufs Gebäude werde ihm Gewissheit bringen. Und so warten wir wieder, wie die Hirsche im Gras liegend, darauf, dass sich zumindest einer von ihnen erhebt. Doch die denken gar nicht daran. Ich mag es nicht, wenn man Wild dazu bewegen muss, aufzustehen. Meist ist die Störung zu heftig, sodass das Wild prompt abspringt. Außerdem läuft man Gefahr, sich selbst unnötig unter Druck zu setzen. Als auch nach einer knappen Stunde immer noch nichts passiert, wird Fergus ungeduldig. Doch weder verhaltenes Klopfen mit seinem Stock auf eine Wurzel noch leise Pfiffe bringen die beiden Hirsche auf die Läufe. Achselzuckend blicken wir uns an. Wir müssen hier wohl noch länger ausharren.

Kurze Zeit später taucht hinter einer Kuppe ein junger Hirsch auf und zieht in Richtung der liegenden Hirsche. Ich mache mich fertig, als endlich der erste Hirsch – nicht der, den ich schießen sollte – aufsteht und hinter den toten Baumstümpfen verschwindet. Jetzt liegt nur noch der andere Hirsch im Gras und neigt das Haupt leicht nach vorn – ein untrügliches Zeichen. Zuerst erhebt sich das Hinterteil, dann in Zeitlupe das Vorderteil. Nun vernehme ich nur noch leise, wie Fergus mir „Shoot!“ zuraunt. Da bricht der Schuss und bannt den Hirsch an seinen Platz.
Überglücklich kommt Oliver zu uns herunter und nimmt mich in den Arm. Er konnte alles von weiter oben verfolgen und sehen, dass der Hirsch liegt. Wir gehen gemeinsam zum Stück. Herzensfroh und ganz erfüllt vom Erlebnis des heutigen Tages erweisen wir dem majestätischen Stück die letzte Ehre.

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