Vor drei Jahren lernte ich auf einer winterlichen Drückjagd im kroatischen Kutina Marijan Balaško, den Vorsitzenden des örtlichen Jagdvereins, kennen. Im darauffolgenden Herbst sahen wir uns dort anlässlich einer weiteren Drückjagd wieder. Wie immer und überall in Kroatien werden die Gäste auch hier aufs Herzlichste willkommen geheißen, und, wenn die Sprache keine Barriere darstellt, in den Jagdablauf und das Drumherum nahtlos integriert. So können Freundschaften entstehen! Damals ahnte ich natürlich noch nicht, dass wir wenige Jahre später zusammen auf einer idyllischen Adria-Insel auf Sauen jagen würden. Wir blieben in Kontakt und tauschten uns immer wieder in den sozialen Netzwerken aus. An eine Reise, ein Wiedersehen war zunächst in der Coronazeit nicht zu denken. Umso mehr freute ich mich, als mir Marijan in diesem Frühjahr schrieb: „Come to hunt on my island. Sheep, pigs, deer – we also have accomodation“ – ich zögerte nicht lange und prüfte den Familien-Terminkalender. Schnell war ein langes Wochenende gefunden und der Flug von Köln/Bonn nach Zagreb gebucht.

In Zagreb angekommen, warteten Ana und Marijan bereits am Flughafen auf mich, und nach einer herzlichen Begrüßung traten wir die Fahrt in Richtung Adria an. Am nächsten Morgen sollte es losgehen. Ana und Marijan hatten ein kleines Motorboot geliehen, das im Hafen bereitlag. Schnell war es mit Waffe und etwas Proviant für ein Picknick beladen, und los ging es. Vor der Küste liegen einige Inseln, die unbewohnt sind. Vom Festland gelangt man nur mit dem Motorboot dorthin. Problemlos anlanden kann man dort an mehreren kleinen Buchten – an allen anderen Stellen ist das Inselufer zu felsig. Marijan hatte im vergangenen Jahr die Jagdrechte für eine dieser Inseln auf zehn Jahre gepachtet und übt dort die Jagd auf Schwarzwild, Damwild und verwilderte Schafe aus. Wie das Wild auf die Inseln gekommen ist, ist nicht genau bekannt, die Schafe jedoch wurden für die Fleisch- und Käseproduktion vor langer Zeit dort ausgewildert. Marijan umfährt die Insel, die sich auf den ersten Blick mit einem freundlichen, grünen Gesicht präsentiert, erst einmal weiträumig, dann steuert er auf eine kleine Bucht zu.

Das Boot befestigen wir mit einer langen Leine an den der kleinen Bucht vorgelagerten Felsen. Der Vormittag ist bereits vorangeschritten, und die Sonne steht hoch am Himmel. Um die 30 Grad mögen es sein, es geht ein leichter Wind. Marijan weist mich an, meine Waffe fertig zu laden, und dann geht es auf einem alten Trampelpfad ins Inselinnere. Irgendwann stoßen wir auf Ziegelreste, und nachdem wir uns durch die Vegetation hindurchgearbeitet haben, stoßen wir auf das verfallene Gehöft. Überall liegen bunte, handbemalte Keramikreste und verrostetes Inventar verstreut. Das Gelände des Hofes ist fast frei von Bewuchs – wir lassen unseren Proviant für ein späteres Picknick im Schatten stehen. Wir sind allein auf dieser Insel, ich bin gespannt, ob wir Wild in Anblick bekommen werden. Was vom Boot aus freundlich und einladend wirkte, zeigt sich bei der Pirsch als hart, borstig und widerspenstig. Die Macchia ist der hier vorherrschende Bewuchs, und sie erschwert das Vorankommen. Geschlossene Macchien sind durch die dicht stehenden Büsche mit ihren ineinander verflochtenen Ästen und die eingewobenen dorn- oder stachelbewehrten Lianen gekennzeichnet, die für Menschen und größere Säugetiere nur schwer durchquerbar sind. Die Sonne tut das Ihre dazu, und schnell haben wir keinen trockenen Faden mehr am Leib. Eine andere Taktik muss her, so kommen wir nicht weit und, wenn doch, leider auch nicht pirschgerecht leise. Wir kehren nach einer guten Stunde um und verschnaufen im Schatten des alten Gehöftes. Denkt man an verfallene Gemäuer, weckt dies Gedanken über die Vergänglichkeit. Hier aber wirkt alles wie verzaubert. Wilde Kräuter, Salbei, Ginster, Lavendel, Rosmarin und viele weitere wilde Stauden verströmen in der Hitze betörende Düfte, die zusammen mit der schönen Landschaft wie eine herrliche Komposition erscheinen. „Ein schöner Tag!“, denke ich, auch wenn er mir bislang keinen Anblick beschert hat. Wir entscheiden, zurückzufahren und erst einmal zu Mittag zu essen, worüber ich mich sehr freue.

Nach dem Essen hole ich etwas Schlaf nach, und am frühen Abend, der Wind hat etwas aufgefrischt, geht es zurück auf die Insel. Dieses Mal landen wir an der anderen, weniger bewachsenen Seite der Insel an. Es geht ein wenig bergauf, und wir bewegen uns langsam und so lautlos, wie es der steinige, trockene Boden erlaubt. Der Wind steht günstig – und tatsächlich erscheint nach den ersten wenigen Metern durch das dichte Gestrüpp vor uns ein Damhirsch und versperrt uns den Weg. Er scheint uns gar nicht einordnen zu können, und so verharren wir mehrere Minuten und blicken uns an, bis er schließlich langsam abdreht und im Dickicht verschwindet.

Langsam ziehen wir weiter durch den brusthohen Bewuchs, immer wieder pausierend, in das dichte Gestrüpp um uns herum hineinlauschend. Endlich wird die Vegetation etwas lichter, und wir glasen aufmerksam die vor uns liegenden Flächen ab. Nichts zu sehen. Ein paar Meter weiter befindet sich eine kleine Anhöhe mit einem Baum, von dort aus würden wir bessere Sicht auf die Umgebung haben. Oben angelangt, haben wir einen fantastischen Blick auf das Meer. Wir suchen die Flächen ab, als Marijan plötzlich auf einen dunklen Rücken weist, der sich durch die Macchia schiebt. Der Entfernungsmesser zeigt rund 135 Meter. Bache oder Keiler? In jedem Fall ist es ein starker Überläufer, der da langsam von uns wegzieht. Marijan vermutet, dass er auf eine Blöße in der Nähe will, um zu brechen. Vorsichtig folgen wir ihm. Es gelingt uns bei gutem Wind, bis auf 80 Meter an die Sau heranzukommen. Tatsächlich steht sie jetzt auf einer kleinen Freifläche. Es ist ein Keiler. Sein Haupt wirkt lang und irgendwie struppig, am Wurf vernarbt. Die Schwarte fast grau, sommerlich kurz. Marijan gibt ihn frei. Plötzlich wirft er auf und verschwindet im Dickicht. Wir warten. Nach einigen Minuten hören wir ein leises Knacken, er ist wieder da! Jetzt schiebt er sich wieder auf die Fläche, steht breit. Die Kugel trifft die Kammer, der Keiler startet durch und verschwindet krachend in der Macchia. Schnell ist es wieder ruhig im Unterholz, und wir warten schweigend ein paar Minuten, bis wir uns aufmachen, ihn zu suchen und zu bergen. Der Anschuss ist klar, die Fluchtstrecke deutlich. Es riecht nach Sau in der Dickung. Auf allen vieren orientieren wir uns am Schweiß vorwärts, bis es auf einmal stärker riecht: Der verendete Keiler liegt direkt vor uns. Wir ziehen den rund 80 Kilogramm schweren Brocken, so gut es geht, aus dem nahezu undurchdringlichen Unterholz auf die Fläche zurück, wo wir erst einmal verschnaufen müssen, bevor es an die rote Arbeit geht. Wir sitzen noch eine Weile beisammen, bis wir den Keiler auf das Boot verfrachten und zurück zum Hafen fahren, wo uns bereits ein ansässiger Metzger erwartet, um das Stück zur Verwertung in Empfang zu nehmen. Darüber ist es inzwischen dunkel geworden, und wir verbringen noch ein paar gemeinsame Stunden bei Wein, Oliven, Salami und Brot am Hafen – bis auf ein Wiedersehen in Kroatien!

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