Fragte man mich, welcher Ort oder welche Gegend mich auf meinen vielen Reisen in den vergangenen Jahren besonders fasziniert hat, würde ich ohne Zögern die französischen Pyrenäen nennen. In jagdlicher Hinsicht sind die abgelegenen Täler und Höhen dieser Bergkette, die die Iberische Halbinsel vom restlichen Europa trennt, eine unvergleichliche Attraktion mit weitestgehend unberührter Tier- und Pflanzenwelt. Auch wenn der Tourismus mit Wanderern und Radfahrern zunimmt, wirkt die Region mit ihren einsamen Bergdörfern noch wildromantisch und abgeschieden, ja fast verschlafen. Doch die Menschen, denen man dort begegnet, sind offenherzig und liebenswürdig.

Ich und meine Freundin Tanja haben hier die Möglichkeit, mit einer französischen Jagdgesellschaft auf Rotwild zu jagen. Die Jagdart ist ursprünglich, traditionell und steht ganz im Zeichen des gemeinschaftlichen Erlebnisses. Der Besitzer der kleinen Pension, in der wir Quartier beziehen, ist gleichzeitig der Vorsitzende der Jagdgesellschaft. Während er uns freundlich begrüßt, trudeln nach und nach die weiteren Gäste, die mit uns gemeinsam jagen werden, im Hotel ein. Jetzt lernen wir auch unseren Jagdführer Eric kennen, der uns die nächsten drei Tage begleiten wird.

Um vier Uhr klingelt der Wecker. Noch müde von der gestrigen Anreise und einem langen ersten Abend, schälen wir uns aus den Betten. Trotz der frühen Stunde ist für alle Jäger ein kleines Frühstück vorbereitet. Eric möchte mit uns höher in die Berge hinauf und am Rand des kleinen Skigebiets pirschen gehen. Das hat den Vorteil, dass wir noch ein ganzes Stück den Berg hinauf mit dem Auto fahren können, denn die Wege sind dank der Pistenfahrzeuge gut ausgebaut. Der Horizont verfärbt sich bereits rötlich, als Eric am Rand einer Skipiste sein Auto abstellt. Von hier geht es zu Fuß weiter. Wir schnallen unser Gepäck auf den Rücken und machen uns auf den Weg. Noch ist die Sicht im ersten Licht der Dämmerung begrenzt und die Bergwelt ruhig. Nur weiter unten können wir einige Hirsche melden hören, während es hier auf fast 1 800 Höhenmeter ziemlich still ist.

Wir folgen einem kleinen Grat, glasen immer wieder die mit Heidekraut bewachsenen Wiesen unter uns ab und bestaunen einen spektakulären Sonnenaufgang über wunderschönem Gelände. Weiter unten können wir auf 800 Meter Entfernung ein kleines Kahlwildrudel ausmachen, das immer weiter hinabsteigt. Ein passender Hirsch ist jedoch nicht dabei. Jetzt, wo die Sonne aufgegangen ist, dreht der Wind und weht uns aus dem Tal ins Gesicht. Eric sucht ein kleines Felsplateau auf, von dem wir einen weiten Blick auf die Wiesen und die angrenzenden Wälder unter uns haben. Der Platz scheint verheißungsvoll zu sein. Wir können es uns hier erst einmal bequem machen und ein wenig ausruhen, denn noch tut sich nichts. Leider ändert sich das auch nicht im Laufe der nächsten Stunden.

Mittlerweile ist es fast elf Uhr geworden, Eric drängt zum Aufbruch. Auf dem Rückweg ins Tal hält nämlich die Jagdgesellschaft noch eine kleine Überraschung für uns parat. Auf einer kleinen Lichtung warten bereits die anderen Jäger, die ein opulentes Picknick im Wald vorbereitet haben: Salate, Pasteten, Schinken, Käse, Gemüse, Sardinen und natürlich frisches Baguette liegen auf einer Decke zum Verspeisen bereit. Und auch an einige Gläser französischen Rotwein hat man gedacht. Während wir lebhaft unsere Erlebnisse austauschen, erfahren wir, dass insgesamt zwei Hirsche und ein Schmaltier geschossen worden sind, die anschließend noch, uns deutschen Jägern zu Ehren, zur Strecke gelegt werden.

Am nächsten Abend wollen wir es weiter unten im Tal versuchen. Da es noch so heiß ist, steht das Rotwild weiter unten, dort, wo es kühl und schattig ist. Wir stellen das Auto am Rand einer etwas stärker befahrenen Straße ab und gehen zu Fuß weiter. Gleich zu Anfang stoßen wir wieder auf Kahlwild, das wir jedoch nicht weiter beachten. Stattdessen steuern wir die saftigen Wiesenflächen im Talgrund an, die an einen größeren Erlenbruchwald grenzen.

Hier herrscht durchaus Betrieb, das hören wir bereits nach kurzer Zeit. Von allen Seiten melden die Hirsche. Eine verfallene Mauer soll uns als Deckung dienen, dahinter lässt es sich bequem aushalten. Vor uns liegen zwei Wiesen, die durch einen Buschstreifen voneinander abgetrennt sind. Dahinter – auf ca. 300 m Entfernung – erstreckt sich der Wald.

Wir müssen gar nicht lange ausharren, da erscheint erstes Kahlwild auf der Fläche. Ideal wäre es, wenn es auf die vordere Wiese ziehen würde. Im Erlenbruch können wir bereits zwei Hirsche ausmachen. Die wären beide passend, soweit wir es jetzt schon erkennen können. Nur aus dem Wald heraus müssten sie noch kommen. Dann noch ein wenig näher – und der Abstand wäre perfekt. Doch jetzt zieht erst einmal ein stattlicher Kronenhirsch von links auf die vordere Wiese. Eric schüttelt energisch den Kopf und flüstert uns „Shoot – no!“ zu. Dass dieser Hirsch nicht frei ist, haben wir auch rasch kapiert, denn in diesem Revier werden nur Hirsche bis Eissprossenzehner geschossen – egal, wie alt der Hirsch ist.

Aber natürlich kommt’s, wie’s kommen muss. Just dieser Hirsch rückt uns auf die Pelle, pflanzt sich zum Schluss nicht mal 20 Meter vor uns auf. Wir wagen kaum zu atmen, da wir jetzt Aug in Aug mit dem Hirsch stehen, doch der scheint uns tatsächlich nicht mitzubekommen. Gemächlich wendet er sich wieder ab und steuert auf das Kahlwild zu, das bereits auf der hinteren Wiese steht. Die anderen Hirsche scheinen seine Absichten zu bemerken. Vielleicht kommen sie ja jetzt aus der Deckung heraus, um den Eindringling zu vertreiben. Doch nun wird das Kahlwild unruhig und zieht sich zurück.

Ratlos und resigniert blicken wir uns an. Doch gleichzeitig nehmen wir eine Bewegung am Rand des Erlenbruchs wahr. Einer der beiden Hirsche, die wir bereits vorher gesichtet haben, lässt sich blicken. Jetzt zieht er am Waldrand entlang, leider noch zu weit, doch immerhin ist er nun wenigstens aus dem Bestand heraus. Das Licht ist bereits schwach, wir verlieren ihn aus den Augen, da taucht er auf einmal weiter links von uns auf und zieht hinter der Buschreihe vor uns entlang. Doch es ist zum Aus-der-Haut-Fahren, immer wenn ich freies Schussfeld habe, zieht der Hirsch weiter, und wenn er stehen bleibt, ist er durch Büsche verdeckt!

Doch nun bleibt der Hirsch endlich stehen. „Shoot!“, höre ich nur noch, dann bricht auch schon der Schuss. Ob der Hirsch zeichnet, kann ich nicht erkennen. Ich sehe nur ein Stück weiter rechts abspringen, aber das ist ein weibliches.

„Morte“, vermeldet Eric jetzt, und für diese final gute Nachricht reichen meine Französischkenntnisse allemal. Alle Anspannung fällt von uns ab, als wir uns umarmen. Keiner hatte noch mit einer Chance in allerletzter Minute gerechnet.

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